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TadschikistanPamir Highway

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26. Juli 2009 - 19. August 2009
Reisetag Nr. 1162 - 1186

In fünf Stichworten

Tadschikistan, das war einmal mehr so eine Gegend, wo wir uns von Beginn an absolut wohlfühlten.

Nachdem wir auf dem Weg zur Grenze wieder etwas vom Weg abgekommen waren (wir wollen uns bessern, ehrlich ;-) betraten wir den Boden von "-stan“ Nummer drei an einer Stelle, wo niemand eine Grenze vermuten würde. Mitten durch die Felder schneidet sich der Zaun. Die Sowjets hatten grossartige Arbeit geleistet, die südlichen GUS-Republiken nach Handgelenk-mal-Phi zu unterteilen, scheinbar ohne Rücksicht auf geografische, geschweige denn ethnische Faktoren. Was leider zum Teil noch immer zu Spannungen führt.

Wir radelten Richtung Fan-Gebirge, immer schön flussaufwärts und auf immer lausigeren Strassen, beziehungsweise Feldwegen. Unser Tagesschnitt senkte sich merklich, was uns aber nicht sonderlich störte. Wir genossen die Abwechslung der Landschaft, die uns nach vier Monaten Staub und Hitze wie das Paradies vorkam. Die Felder waren grün, die Temperatur senkte sich mit jedem erklommenen Höhenmeter und es regnete sogar! Wie herrlich! Die Menschen, die wir unterwegs antrafen, waren so was von freundlich und herzlich, sie schienen so zufrieden in diesem Klima wie wir. Und dies, obwohl die Bauern hier ein sehr karges Leben führten.

Die Fettschwanzschafe verfolgten uns noch immer. Hier aber zum Glück in lebendigem Zustand. Die Schäfer trieben uns ihre Herden auf den engen Bergstrassen entgegen und wir waren umzingelt von einer herrlich duftenden blökenden Masse aus Wolle und dümmlichem Grinsen. Die Schafe liessen sich weder von uns noch von den wie irr hupenden Lastwagen oder Jeeps beirren und folgten stoisch ihren Leithammeln.

Chinesische Strassen, iranische Tunnels

Plötzlich wurden wir von einem schwarzen Asphaltband überrascht! Wo wir Sekunden zuvor noch über ausgefahrene und ausgewaschene Karrwege holperten, glitten unsere Reifen nun mit leisem Surren auf spiegelglattem Strassenbelag dahin. Wie überall in den Nachbarstaaten waren auch in Tadschikistan Legionen chinesischer Strassenbauer am Werk und ebneten der Grossmacht billiger Konsumartikel den Weg für einen lukrativen Export. „Entwicklungshilfe“ ist wie immer vor allem ROI – Return of Investment, sprich: Wenn man etwas hineinsteckt, soll ein bisschen mehr herausschauen. So gesehen ist es kein Wunder, dass die chinesischen Projekte mit einer Entschlossenheit, Geschwindigkeit und Präzision vorangetrieben werden, über die wir nur staunen können. Wohingegen wir uns über hundert Kilometer „türkischen“ Strassenabschnitt fast die Zähne ausgeschlagen hätten, so holprig war die Fahrt. Arbeiten sah man dort niemanden... Wie sich später herausstellte, hatten die mediterranen Strassenbauer ihr Werk wohl als beendet angesehen, hatten die Pickel hingeworfen und stattdessen in der Hauptstadt türkische Läden und Restaurants eröffnet. Auch nicht schlecht für uns ;-)

Aber, wie gesagt, es ging in flotten, sauberen Serpentinen auf rotem Volks-Strassenbelag hinauf zum Pass, bis wir vor einem schwarzen Loch standen, aus dem es gespenstig qualmte und in welchem sich die Strasse auflöste und unter knietiefem Wasser verschwand. Wir schauten uns an – keine zehn Pferde brachten uns da durch. Der Stollen war sozusagen noch nicht mal im Rohbau fertig, obwohl alle Welt (hierzulande) uns von dem neuen Tunnel vorschwärmte. Zum Glück durften wir unser Tandem auf einen Kohlelaster verladen und so die Geisterbahnfahrt durch die fünf Kilometer lange Höhle in der geschützten Fahrerkabine miterleben. Der LKW pflügte sich durch die Dunkelheit, während von oben das Wasser aus dem Felsen schoss. Es war kalt, nass und stickig und wir beneideten die iranischen Mineure, die noch immer hier drin arbeiteten, keinen Augenblick.

Duschanbe – Liebesgrüsse aus Moskau

Nun ging es im Sturzflug bergab nach Duschanbe. Waren die Leute auf der andren Seite mit Ochsenkarren unterwegs und wohnten in bescheidenen Häusern, säumten hier grosszügige Villen mit einladenden Swimmingpools den Fluss. Davor standen kecke Audis, fette Hummer, überlange Stretchlimousinen und andere Yuppie-Fahrzeuge hochglanzpoliert parkiert. Den Grossteil des Bruttoinlandsprodukts generiert der Drogenhandel und davon scheinen einige zu profitieren.

In Duschanbe fielen uns vor allem die grosszügigen Alleen auf, durch welche wir in die Stadt hineinfuhren. Nach russischem Muster ausgelegt strahlte die tadschikische Hauptstadt den Charme eines wohlgeordneten und liebevoll gepflegten russischen Aussenpostens aus (welcher er in gewisser Weise nach wie vor ist). Breite Strassen, gesäumt von hohen Bäumen und flankiert von schönen Bürgerhäusern mit farbigen und intakten Fassaden. Die Einschusslöcher vergangener Ausschreitungen sind längst gestopft. Was uns besonders begeisterte, war die Auswahl an mediterranen Restaurants. Eine höchst willkommene Abwechslung nach der fettreichen aber variationsarmen Diät seit dem Iran. Sogar Wein gönnten wir uns am 1. August, wobei wir den moldawischen Tropfen nicht wirklich weiterempfehlen können.

Nach sowjetischem Muster war nicht nur die Stadt ausgelegt, sondern danach funktionierten auch die Hotels. Den Empfang regierte eine russische Matroschka mit der freundlichen Ausstrahlung eines Bulldozers. Auf jedem Stockwerk eine weitere Autoritätsperson ähnlichen Schlags, welche die Zimmerfräuleins herumkommandierte und das Kommen und Gehen der Hotelgäste peinlichst genau verfolgte und wohl dem KGB zur sorgfältigen Fichierung weiterleitete. Extrawünsche oder die Frage nach einem kleinen Rabatt für die überteuerten Kammern behielt man besser für sich...

Dank dem Gipfeltreffen der Präsidenten von Russland, Afghanistan und Pakistan waren die Strassen mit Polizei übersät. Mindestens alle zwanzig Meter standen Uniformierte mit strengem Blick und grossen Mützen. Eines Nachts, auf dem Nachhauseweg wurden wir von Beamten angehalten, die uns auf den Posten schleppen wollten. Kurz zuvor war ein Polizeiauto in die Luft geflogen und Touristen natürlich die verdächtigen Nummer-Eins-Terroristen. Wir durften zu Fuss nicht durch die Strassen marschieren und Unheil anrichten, während der übrige Verkehr in dunklen Limousinen mit getönten Scheiben gemütlich vorbeifloss. Da steckte mal wieder ne ganz spezielle Logik dahinter... Glücklicherweise waren wir mit ein paar anderen Ausländern (Expats) unterwegs, sodass wir die Polizei zumindest mengenmässig ausstachen. Es brauchte allerdings eine gewisse Starrköpfigkeit, gespielte Unverständlichkeit und die Ankunft eines Vorgesetzten mit noch mehr Gold auf den Schultern, um den Weg vorbei an den übereifrigen Beamten freizumachen.

Sommerroute nach Korong

Es gibt eine sogenannte Sommer- und eine Winterroute nach Korong. Was nicht unbedingt heisst, dass die eine oder andere bloss in einer bestimmten Jahreszeit befahren werden kann. Die Wahl ist eher abhängig vom momentanen Gefahrenpotenzial. Das beinhaltet nicht nur natürliche Hemmnisse wie Erdrusche, weggeschwemmte Brücken et cetera, sondern auch, wo sich im Moment welche Drogenbanden, welche militanten Oppositionellen oder Extremisten mit Regierungseinheiten Gefechte liefern oder ganz gewöhnliche Banditen die Lastwagen überfallen. Seit kurzen waren wieder beide Strecken offen, wir wählten die Route über die Berge.

Einmal mehr genossen wir die Gastfreundschaft der Tadschiken. Wir zelteten auf dem Land von Bauern oder in den Gärten der Gasthäuser, wenn wir kein Plätzchen fanden, um uns in die Büsche zu schlagen. Einladungen zum Übernachten oder zum Nachtessen blieben natürlich nicht aus. Das Schönste, oder Erfrischendste am Radeln in Tadschikistan war aber, dass wir praktisch immer entlang von Flüssen fuhren. Wenn es an etwas nicht mangelt hier, dann ist es Wasser. Nicht, dass wir uns jetzt ein Bad in den kalten Fluten genehmigt hätten, aber die Aussicht auf das klare Wasser, auf die Flüsse und Bäche, die sich tief in die Täler einschnitten, hatte etwas sehr beruhigendes an sich. Selbst dann, wenn die Fliess- entgegengesetzt der Fahrtrichtung war. Es war ja auch nicht so, dass sich die Strasse immer direkt dem Flusslauf anschmiegte und so in gemächlichem Gradienten nach oben führte. Nein, vielmehr war es ein ewiges Auf und Ab. Da kriechst du auf einer in den Fels gehauenen Strasse hundert Höhenmeter hinauf, um dann kurz danach wieder ins Tal zu stürzen. Und dann dasselbe in grün. Immer munter rauf und runter.

Wir fuhren ein paar Tage dem Daryoi Panj entlang, dem Grenzfluss zu Afghanistan. Und bis auf die erhöhte Militärpräsenz war es sehr ruhig. Das Leben nahm links und rechts des Flusses genau den gleichen Lauf. Die selben Häuser, die selben Felder, die selben Esel. Die gelegentlichen Explosionen entpuppten sich zum Glück als Sprengungen für eine neue Strasse und nicht als Stinger-Raketen der Taliban... Nach der dritten Patrouille, die uns anhielt und den Pass kontrollierte, machten wir das Spiel nicht mehr mit und ignorierten ihr Fuchteln und Rufen. Wenn wir da wegen jedem Lümmel bremsen würden... und auf uns schiessen werden sie wohl nicht, oder? Das wild Campieren machten uns die Soldaten allerdings etwas schwierig. Man musste sich ein besonders gutes Versteck suchen, um nicht erwischt zu werden. Das gelang uns einmal nicht so richtig und prompt wurden wir mitten in der Nacht vom Scheppern von Maschinengewehren geweckt. Da half alles Sich-Schlafend-Stellen nichts, die Jungs zogen nicht von dannen. Zelten verboten und wir sollen unseren Krempel packen und mitkommen. Versuchten wir es also mit Dummstellen und „ich nix versteh“. Eine weitere Viertelstunde hin und her überzeugten die Soldaten noch immer nicht von unserer freundlichen Absicht, im Gegenteil, es marschierte noch Verstärkung auf. Jetzt half nur noch eines: Auf stur stellen! Und siehe da, nach einem kurzen aber bestimmten Ausbruch machte sich das Gros der Soldaten davon und kommandierte einen Mann zur Bewachung unseres Zeltes ab. So konnten wir doch noch in Ruhe schlafen und mussten uns nicht vor einem nächtlichen Angriff der Mudschahedin fürchten. Wir hatten ja jetzt unseren Sturmgewehr schwingenden pubertierenden Wachposten, der draussen schlief oder aus Langeweile lieber etwas in unseren Sachen rumkramte, als nach bärtigen Drogenschmugglern Ausschau zu halten...

Pamir Highway

Zusammen mit unseren neuen Radelpartnern aus Schweden und Frankreich schwenkten wir in Korong aus dem tief eingeschnittenen Tal und folgten dem Pamir Highway in die Berge. Die heissen Quellen von Jelandi wollten wir uns nicht entgehen lassen und übernachteten in einem Kurhotel aus der Sowjetära. Sogar Brö getraute sich für ein paar Sekunden in das schmuddelige Becken mit dem grünlich-milchig-trüben Heilwasser in dem Fetzen nicht identifizierbaren Etwas schwammen und einem um die Beine strichen. Die anschliessend dringendst notwendige Dusche hätte bestimmt keimtötende Wirkung gehabt, doch die Aussicht auf Verbrennungen ersten Grades hielt einem davon ab. Das Wasser war knapp unter dem Siedepunkt – sollen sich die Hautpilze halt festfressen. Ist doch immer dasselbe mit den hoch angepriesenen Hot-Springs ausserhalb Zentraleuropas: Man kommt schmutziger raus, als wie man hineingesprungen ist, selbst nach einigen duschfreien Velotagen.

Ab und zu übernachteten wir in sogenannten Homestays, also bei Familien, die ihr Haus für Gäste öffneten. Das war für uns ein exzellenter Einblick in das Leben der Leute in den Bergen und eine willkommene Einnahmequelle für die Gastgeber. Trotz der kärglichen Lebensumstände und der einfachen Behausungen waren die Tadschiken hervorragende Gastgeber. Dem Besucher wurde oftmals der eigene an Wänden und am Boden mit Teppichen ausstaffierte Schlafraum überlassen. Dicke Matten am Boden ausgerollt und mit Tüchern und Decken hergerichtet bildeten ein herrlich warmes Nachtlager.

Gegessen wurde ebenfalls am Boden, das Tischtuch einfach zu den Füssen (die für uns umständlich irgendwie im Schneidersitz versorgt werden mussten) angebracht. Dann wurde das Brot gebrochen, manchmal noch geküsst und verteilt. Fast ein bisschen Letzte-Abendmahl-Stimmung, nur der Kelch mit dem Wein fehlte noch. War das Essen zu Ende, wurde nochmals ein kurzes Dankesgebet gesprochen und sich mit beiden Händen über das Gesicht gefahren. Dies hat nun nichts mit religiöser Spiritualität zu tun – die Religion haben die Sowjets ja ziemlich ausgemerzt hierzulande – sondern wohl viel mehr mit Dankbarkeit. Und schliesslich haben wir alle allen Grund dafür, dankbar zu sein für eine sättigende Mahlzeit. Nur manchmal vergessen wir das halt ein wenig.

Wie üblich bei tadschikischen Häusern stand das Plumpsklo draussen, in der entferntesten Ecke des Hofes. Oder es gab ein zentrales Plumpsklo, welches von allen umliegenden Häusern benutzt wurde. Auch das Waschbecken stand draussen, was selbst im Sommer etwas erfrischend war. Nicht auszudenken, wie häufig sich die Leute wohl hier in den Wintermonaten eine gründliche Ganzkörperreinigung gönnen. Da verbringt die ganze Familie, die drei bis vier Generationen umspannen kann, die kalte Jahreszeit in einem einzigen beheizten Raum. Draussen herrschen Temperaturen bis minus vierzig Grad und der nächstgelegene Hof ist oft kilometerweit entfernt. Da muss man sich schon ziemlich gut mögen... In ausgewählten, fast schon „professionell“ geführten Homestays war sogar ein Duschraum eingerichtet. Naja, eigentlich ein Kessel mit heissem Wasser, das man kübelweise über sich giessen konnte. Dennoch, recht effizient, verglichen mit manchen Hotelduschen die erstens normalerweise höchstens lauwarm sind und zweitens mit einer maximalen Durchflussmenge von circa einem Deziliter pro Minute funktionieren. Nur nachts, da hören sie nicht auf zu tropfen...

Trotz all dieser Annehmlichkeiten zelteten wir aber die meiste Zeit über. Was angesichts der fantastischen Landschaft auf den Hochebenen des Pamir ein absoluter Höhepunkt war. Sternenklare Nächte gingen einher mir klirrender Kälte und man hoffte jedes Mal, wenn man sich in die Schlaftüte kuschelte, die Blase möge nicht an ihre Kapazitätsgrenze stossen. Sternbilder und -schnuppen suchen gut und recht, aber nicht um vier Uhr morgens.

Apropos natürliche Lichtquellen: Auf die konnte man sich wenigstens verlassen. Was die elektrische Versorgung im Land betrifft, dort herrscht gelinde gesagt noch ein wenig Nachholbedarf. Wie sooft, wenn die "Kolonialmacht" abzieht, verfällt die Infrastruktur. Die „demokratisch“ neu gewählte „unabhängige“ Regierung hat andere Sorgen, als sich um die Probleme der Bevölkerung zu kümmern. Wichtig ist doch vor allem, an der Macht zu bleiben, seine Freunde zu begünstigen, ein korruptes regierungstreues Kabinett zusammenzustellen, Armee, Polizei und Geheimdienste und Gerichte zu kontrollieren und möglichst viel Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften und ausser Landes zu transferieren. Es kann ja immer mal was schief gehen... Infrastrukturprojekte? Strassen, Spitäler, Schulen? Da machen wir's doch wie die da unten in Afrika: Hände in den Schoss legen und warten bis NGOs und Geberstaaten antraben. Und überhaupt, was kümmert es einem, ob die da oben in dieser lebensfeindlichen Pamir-Region Strom haben oder nicht. Es gibt ja schliesslich Kerzen. Und wer autonom sein will, sollte schliesslich für sich selbst sorgen können! So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass man noch heute vor liebevoll gepflegten Lenin-Statuen frische Geranien sieht. Vor allem in abgelegen Randregionen. Pre-Perestrojka Nostalgie.

Immerhin war die Versorgung mit Snickers im ganzen Land, ja in ganz Zentralasien aufs Beste sichergestellt. Der ideale Power-Snack für ein allfälliges Zuckertief zwischendurch haben wir festgestellt. Wir wurden danach fast so süchtig, wie nach den getrockneten „Tut“, Maulbeeren. Keine Mahlzeit war abgeschlossen ohne eine Handvoll dieser leckeren Früchte, sodass Patricias und Thomas' Fünfkilosack leider viel zu schnell leer war.

Nachschub gab es aber öfters mal, auch wenn die kleinen Läden ansonsten nicht gerade mit einer breiten Auswahl gesegnet waren. Und definitiv nicht auf die Bedürfnisse der Radler, welche hier oben in erstaunlich grosser Anzahl anzutreffen waren, ausgelegt waren. Aber wir fanden eigentlich immer, was wir suchten. Und wenn nicht, war Hilfe schnell unterwegs. Als unsere beiden Patrizias am Markt mal wieder einen Spezialwunsch hatten, wurden sie kurzerhand zum Tee eingeladen, während der Sohn der Ladeninhaberin zum Botengang losgeschickt wurde. Zwei Tassen später war der Junge mit dem Gewünschten zurück. Das ist Shopping-Erlebnis auf kirgisisch. Interessanterweise hatten wir in den abgelegenen Pamirs weniger Verständigungsschwierigkeiten als irgendwo sonst in Zentralasien. Erstaunlich viele Leute konnten ein kleines bisschen Englisch und waren äusserst hilfsbereit, was bestimmt auch dazu beitrug, weshalb es uns hier so gut gefiel. Es war einfacher, mit den Bewohnern in Kontakt zu kommen.

Breakdown

Unser Material, so schien es, hatte langsam seinen Zenit überschritten. Der Zeltboden war mittlerweile so dünn, dass man durch ihn hindurch Zeitung lesen konnte. Wir hofften einfach, dass wir vom Regen verschont blieben, bis Ersatz eintraf. Auch die Komfortgrenze unserer Schlafsäcke hat sich im Verlauf der Jahre ein klein wenig nach oben verschoben und die Matten waren trotz mehrmaligem Abdichten morgens flach, was dem Isolationswert nicht besonders zuträglich war. Der Wasserfilter brach auseinander und auch der Kocher. Kleider und Schuhe sind eh ein Dauerflickwerk. Unsere guten alten Hydraulikbremsen begannen zu lecken und eine Felge hatte mal wieder einen Riss. Wir hatten so viele Platten wie nie zuvor. Dazu kamen Bobochen und Wewehchen, welche mit Klebeband, Superkleber, Draht und viel gutem Willen repariert werden konnten. Unsere Ausrüstung hatte eine rigorose Auffrischung verdient. Vorderhand malträtierten wir unser Gefährt allerdings noch mit holprigen, staubigen und teilweise recht stotzigen Strassen, stellten das Zelt im Sturmwind auf und reizten unseren Kocher auf viertausend Meter bis an seine Grenzen.

Der Pamir Highway war eine der schönsten und eindrücklichsten Strecken, die wir bis jetzt beradelt hatten. Vergleichbar in etwa mit dem Altiplano in Bolivien. Ein Himmel so blau, dass einem fast die Tränen kamen. Ein messerscharfer Kontrast über den teilweise verschneiten Bergrücken. Eine brillante kristallklare Farbenpracht, die man nur auf diesen Höhen sieht. Trotz der ariden und kargen Landschaft leuchteten die Berge in allen Farben. Die verschiedenen Gesteine und Mineralien liessen die Felsen in allen Regenbogenfarben schimmern. Eine Grossartigkeit und eine Einsamkeit, die uns immer wieder fesselt. Man wird auf das reduziert, was man ist: Ein Mensch als Teil einer grossartigen Natur. Nichts mehr, nichts weniger.

Wir teilten diese Landschaft mit ein paar vereinzelten Jurten, Yaks und vielen Murmeltieren. Und natürlich mit Patricia und Thomas aus Schweden, mit denen wir etliche Wochen durch Tadschikistan und Kirgistan reisten. Es war schön, für einmal seine Eindrücke mit Freunden zu teilen und wir genossen das gemeinsame Zelten, die Diskussionen zum Tee in unserem Vorzelt, wenn es zum Draussensitzen zu kalt wurde. Was wir natürlich besonders schätzten, war, dass uns jemand anspornte und zujubelte, wenn wir die letzten Meter zu einem Pass hochkrochen. :-)

Dass die Pässe teilweise so hoch waren wie die höchste Schweizer Bergspitzen realisierte man kaum, da einem nicht der mangelnde Sauerstoff zu schaffen machte, sondern eher der Strassen- oder besser gesagt Schotterpistenzustand. Die Steigungen waren manchmal schon fast etwas unvernünftig, sodass wir vielfach nahe daran waren, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn wir uns mit drei Stundenkilometern in die Pedale stemmten und um die Böllersteine zirkelten. Den chinesischen Sattelschleppern schien das nichts auszumachen. Je weniger Kurven, desto besser. Zeit ist Geld!

Dass China nicht weit weg war, manifestierte sich deutlich am Grenzzaun, der das ganze Riesenreich zu umspannen scheint und sich hier bis um wenige Meter an die Strasse drängte. Die „Neutrale Zone“ die sich dahinter erstreckt ist etwa hundert Kilometer breit! Ein Ödland und eine mehr als ausreichende Pufferzone, um den östlichen Giganten gegen aussen hin abzuschotten. Wir steuerten aber noch nicht direkt das Reich der Mitte an, sondern folgten der M41 nach Kirgistan.



17.11.11 Geraldton, Australien

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