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IranLand der Kontroversen

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22. Mai 2009 - 7. Juli 2009
Reisetag Nr. 1097 - 1143

In sieben Stichworten

Persischer Golf – Zum Radeln zu heiss

Sobald wir unser Tandem im Bauch der Fähre verstaut hatten, hiess es: „Miss, cover up please!“. Ab dann war Kopftuch angesagt für Patrizia. Auf dem Schiff war es ja noch schön kühl und gar nicht mal so unangenehm, ein bisschen warm um die Ohren zu haben, während wir auf den harten Bänken schliefen. Aber am nächsten Tag, in Bandar Abbas, der Hafenstadt an der Küste des Persischen Golfs wurden wir von der feuchten Hitze fast erschlagen. Wir radelten dem fünfspurigen Highway entlang und liessen uns von den Russ spuckenden Lastwagen einnebeln. Zwar lud uns ein Lastwagenfahrer kurz für eine Verschnaufpause und eine eisgekühlte Cola in seine luftgefederte und klimatisierte Kabine ein und andere freundliche Chauffeure versorgten uns ebenfalls mit kühlem Wasser. Aber als wir in der Mittagshitze auf dem heissen Asphalt davonzuschmelzen drohten, hielt wie immer im rechten Augenblick ein Pick-up an und bot an, uns ein Stück mitzunehmen. Wir zögerten keine Sekunde und quetschten uns zu viert auf die vordere Sitzbank. Auf der Fahrt weg von der Küste erhielten wir eine erste Einführung in den iranischen Fahrstil…

Larestan – Interview auf Channel 5

In Lar wohnten wir im besten Haus am Platz – es war das einzige Hotel und es war teuer. Dass wir deswegen aber gleich als Promis behandelt würden, das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Wir erhielten eine Stadtführung von einem jungen Englisch sprechenden Studenten und am nächsten Morgen erwartete uns das Fernsehen für ein Interview. Nach den üblichen Fragen und Antworten vor der Kamera zogen wir noch eine Runde durchs Städtchen, gefolgt vom Kameramann, mal vorwärts, mal rückwärts auf dem Töff sitzend – er wäre beinahe runtergefallen, aber das hat er sich wohl so bei der Tour de France abgeschaut. Bereits am nächsten Morgen erhielten wir Feedbacks auf unseren Fernsehauftritt, der zur besten Sendezeit ausgestrahlt worden zu sein schien. Noch Wochen später wurden wir auf der Strasse auf das Interview angesprochen – was uns die Übersetzer wohl in den Mund gelegt hatten...?

Unsere Radeltage im Süden des Landes waren geprägt von unzähligen schönen Begegnungen am Strassenrand. Es verging kaum eine Viertelstunde, ohne dass wir für einen kurzen Schwatz angehalten wurden. Manchmal konnten die Leute ein bisschen Englisch, meistens aber beschränkte sich die Konversation auf gebrochene Begrüssungsfloskeln und das, was man mit Händen und Füssen so zustande brachte. Die Leute schien vor allem Folgendes zu interessieren: Woher wir kommen, was wir über den Iran denken, ob wir Muslime wären und häufig auch, welche Meinung wir von ihrem Präsidenten hätten. Manchmal war dies sogar gleich die erste Frage.

Von uns wurden bestimmt mehr (Handy-)Fotos geknipst, als dass wir Radelkilometer machten im Iran. Die Leute hielten an oder machten kehrt mit ihren Motorrädern oder Autos. Manchmal sah man denselben Wagen etliche Male langsam vorbeifahren, ehe der Fotograf zufrieden war mit seinem Schuss. Die Leute nahmen aber nicht nur Bilder mit, sondern liessen vielfach auch etwas zurück. Gurken, Äpfel, Brot, Melonen, Ziegenkäse etc., meistens aber Wasser und das nahmen wir normalerweise gerne an, da üblicherweise schön kühl. Oftmals hielten (vor allem die Lastwagen) auch an, um unser Trinkwasser, dessen Temperatur sich nachmittags jeweils bedenklich nahe dem Siedepunkt näherte, kurz durch den „Kühler“ zu lassen. Das funktioniert so: Man kippe ein paar Liter warmes Wasser in den mit Eis gefüllten Kühlbehälter, lasse es ein paar Minuten ziehen und füllt anschliessend die Flaschen mit dem nun eiskalten Nass wieder auf. Einfach, aber raffiniert. Wenn man den ganzen Tag lang wegen der Hitze quasi am Tropf hängt, ist man schon froh, wenn das Wasser wenigstens kühler ist als die Aussentemperatur.

Meistens, wenn ein Auto anhielt, zogen andere nach und im Handumdrehen war eine gesellige Runde beisammen. Auch wenn wir nicht am Radeln waren, sondern uns unter einem Baum oder sonst wo im Schatten eine Pause genehmigten, dauerte es nicht lange und wir erhielten Besuch. Was wir natürlich nicht immer ganz so cool fanden, aber he, wir sind ja nur einmal hier und erst recht noch freiwillig und schliesslich soll es ja auch so sein, dass nicht nur wir etwas von unserer Reise haben, sondern auch die Leute, deren Land wir besuchen.

Vor allem wenn wir abends unser Zelt aufschlugen, schauten wir aber schon darauf, dass wir uns möglichst unauffällig von der Strasse weg irgendwo verkrochen, wo wir möglichst keiner Menschenseele mehr begegneten. A) aus Sicherheitsgründen und b) damit wir wenigstens einmal am Tag unsere Ruhe hatten. Dies gelang uns meistens, aber natürlich nicht immer. Tee und etwas zu knabbern hatten wir immer dabei und somit kamen wir nie in Verlegenheit, wenn Gäste eintrafen.

Farsi no, Inglisi no – Sprachbarrieren

Dass man mit Englisch nicht sehr weit kommt in Iran merkten wir sehr bald und es war wirklich schade, konnten wir uns mangels Persisch vielfach nicht wirklich gut unterhalten mit den freundlichen Leuten, die wir unterwegs antrafen. Wir kriegten so viele Einladungen zum Essen, zum Übernachten, die auszuschlagen manchmal echt nicht ganz einfach war. Aber wenn sich schon eine Konversation von fünf Minuten auf „Salaam“ – „Hello“ – „Japan, France?“ – „Suisse“ – „Iran beautiful!“ – „Thank you.“ – „Thank you.“ beschränkte, wie soll dann ein ganzer Abend gefüllt werden, ausser mit Lächeln? Es war ja nicht so, dass wir diese Einladungen nicht geschätzt hätten, aber wenn wir den ganzen Tag unterwegs waren und teilweise keine fünfzig Meter weit kamen, ohne wieder anzuhalten für ein kurzes Schwätzchen, waren wir froh, ab und zu ein bisschen für uns alleine zu sein. Ganz immer lehnten wir die freundlichen Einladungen natürlich nicht ab.

Zum Beispiel bei Sasan. Es war neun Uhr morgens, als wir unter einem schattigen Baum unser Frühstück nehmen wollten. Just vor der Farm eines Ex-Radrennfahrers! Zehn Minuten später sassen wir bei Spiegelei und Brot in seiner Stube, umringt von seiner halben Sippe. Statt einem kleinen Zmorgestopp verbrachten wir beinahe den ganzen Tag bei ihm. Wir wurden durch den Hof und die Felder geführt und da Freitag war, waren einige Verwandte aus dem nahen Städtchen auf Besuch, um sich unter den schattigen Bäumen und in der Ruhe hier draussen zu erholen. Und wie: Es wurde gegessen und getrunken, getanzt und gesungen (wir mussten mal wieder unser „Buurebüebli“ zum besten geben…) und Wasserpfeife und Opium geraucht. Kopftuch weg – Party time! Im Schutz der grossen Eisentore war alles erlaubt, was draussen verboten ist. Es war echt amüsant und unterhaltsam. Wie kann man den Menschen bloss verbieten, öffentlich fröhlich zu sein? Diesen verhärmten Brüder vom Club der Bärtigen (zwölfköpfiger Wächterrat, oberste Instanz der Islamischen Republik Iran, Anm. der Red.) sollte man die Ohren lang ziehen oder vielleicht ganz einfach mal die Fusssohlen kitzeln, bis sie aus vollem Bauch lachen, damit sie sehen, wie befreiend das ist. Weil die haben ja immer nur so ein gütiges (und falsches) Lächeln drauf und das hat gar nix mit Fröhlichkeit zu tun.

Escort-Service

Nicht nur Motorräder oder Autos begleiteten uns ein Stück des Wegs. Einmal setzte sich die iranische Polizei zum Ziel, uns Geleitschutz zu geben. Nicht, dass es ein besonders risikoreicher Streckenabschnitt gewesen wäre, überhaupt nicht. Im Gegenteil, es wurde erst durch die Polizeieskorte gefährlich, da uns deren Fahrzeuge mit Blaulicht stundenlang mit durchschnittlichen fünfzehn Stundenkilometern folgten und so zum eigentlichen Verkehrshindernis wurden. Die Lastwagen mussten nun statt eines schlanken Tandems einen breiten 4x4-Einsatzwagen überholen und sich auf der schmalen Strasse in riskanten Manövern kreuzen. All unser Drängen und Zureden half nichts, die Polizei blieb uns auf den Fersen. An der Gemeindegrenze wartete jeweils bereits der nächste Wagen auf uns. Sogar während der Mittagsrast wurden wir zwei Stunden lang bewacht. Wir picknickten in einem Aprikosenhain und die Polizisten pflückten für uns die reifen Früchte von Bauers Bäumen. Von der Polizei geklaute Aprikosen schmecken doppelt lecker!

Gegen Abend machten wir extra viele Pausen, bis es dem Begleitservice dann doch etwas zu mühsam wurde und sie wohl lieber die Nachrichten im Fernsehen schauen wollten, statt dauernd auf Patrizias Füdli zu glotzen. Wenig später hauten wir uns in die Büsche und ein paar Spaghetti in die Pfanne.

Fast Food Land

Eine Enttäuschung in Iran, eigentlich die einzige, war das Essen. Ausserhalb der guten Stube schienen sich die Perser hauptsächlich von Fast Food zu ernähren. Und zwar von der übelsten Sorte: lauwarme Hamburger, trockene Hotdogs, sogenannte Pizza mit viel Ketchup obendrauf und fettige Falafel-Sandwiches. Dies ist mehr oder weniger, was man auf der Strasse findet – wenn man denn überhaupt was findet! An den touristischen Orten und in den Städten gibt es natürlich auch richtige Restaurants (an deren Öffnungszeiten man sich erst mal gewöhnen muss), aber selbst da unterschied sich die Speisekarte von Lokal zu Lokal eigentlich nur in der Aufmachung, aber nicht im Inhalt. Kebab (Poulet oder Lamm), mit oder ohne Reis und irgendein Auberginen-Gericht. Am besten assen wir eigentlich, wenn wir selber kochten.

Was hingegen eindeutig zu den Highlights gerechnet werden muss, waren die Soft-Ice. Sie kamen in solch leckeren Geschmäckern wie Rose, Kardamom oder Safran daher. Himmlisch, jedenfalls für Glacé-Monster Brö.

Shiraz – Yazd – Esfahan

War es ganz im Süden superheiss, wurde es in den Bergen teilweise angenehm kühl. Manchmal mussten wir sogar den Daunenschlafsack auspacken, wenn wir auf über zweitausend Meter über Meer campierten, und einmal sogar den Regenschutz! Wir durchradelten etliche Klimazonen und ganz unterschiedliche Landschaften und das machte das Radeln abwechslungsreich und zum echten Genuss. Auch der Rhythmus war gut: ein paar Tage velölen und wild campen und dann für ein paar Tage in der Stadt im Hotel nächtigen und Sehenswürdigkeiten abklappern. Shiraz hielt seine Verlockungen nach gutem Wein tunlichst verborgen, war dafür sonst ein angenehm lockerer Ort. Yazd, am Rand der Wüste gelegen war unser Favorit, nicht zu geschäftig, mit einer schönen Altstadt aus Lehmbauten und einem kleinen Hostel mit gemütlichem Innenhof. Die Oase wird teilweise noch mit Jahrtausende alten Qanats (lange unterirdische Wasserkanäle, welche die Grundwasserläufe in den Bergen anzapfen) versorgt und über den Dächern ragen Baghdirs (Windtürme), die selbst die leiseste Briese in die darunter liegenden Räume leitet. Diese erste Generation Klimaanlage ist zwar nicht mehr in Betrieb, sieht aber adrett aus. Esfahan war der touristische Angelpunkt Irans und hier traf man auch die meisten Reisenden an. Obwohl die Stadt, beziehungsweise deren Sehenswürdigkeiten unserer Ansicht nach etwas überbewertet werden, war es ein Ort mit vielen Facetten, einem grossen Suq (überdachten Markt), Tausenden von Töffs und vielen geschäftigen Leuten.

Überall im Land, in den Parks, auf jeder Grünfläche, entlang der Überlandstrassen, ja eigentlich an jedem geeigneten oder in unseren Augen ungeeigneten Platz sah man Familien picknicken. Die Iraner sind wahre Meister darin und schleppen auch gleich den halben Haushalt an. Töpfe, Pfannen, Geschirr – nicht das Pastikzeugs, sondern feines Porzellan und Glas natürlich. Und selbstverständlich darf der Samowar nicht fehlen, denn Tee ist das wichtigste Getränk in einer Runde von Freunden oder im Kreis der Familie. Vor allem Abends war Hochbetrieb in den Parks und es herrschte eine friedliche Atmosphäre. Ohne Gettoblaster, klirrende Bierflaschen und rauchende Grills.

Tschador vs. Manto

Wie eingangs erwähnt, Iran ist das einzige Land der Welt (mal abgesehen von Saudi-Arabien vielleicht, aber da pilgert unsereins ja nicht hin), wo Frau vorgeschrieben wird, wie sie sich zu kleiden hat. Auch Nicht-Musliminnen und vor allem auch Touristinnen! Eigentlich eine Frechheit, aber wir sind ja aus freien Stücken hier und wollen uns deswegen nicht weiter darüber auslassen. Und sowieso gibt es im Iran Beschränkungen und Vorschriften, die gehen viel tiefer, als die Vorschrift, Haar und Po zu bedecken. Für uns war es dennoch interessant zu sehen, wie sehr der Kleidungsstil differiert von Ort zu Ort, ja von Quartier zu Quartier. Da gab es Plätze, da sah man vor lauter Tschadors nur noch schwarz und andere Orte, da stolzierten die (jungen) Frauen in figurbetonten Mantos, stark geschminkt und das toupierte Haar mit einem absoluten Minimum an Kopftuch bedeckt herum. Daneben wirkte Patrizia geradezu konservativ. Die Mullahs vom Wächterrat sehen wohl einfach nicht gerne schöne Frauen, die etwas aus sich machen und vielleicht findet auch deswegen ein Teil des Protests in der Mode statt. Ob es wohl auch eine Art Protest ist, sich die Nase richten zu lassen? Oder war es nur ein Tribut an Michael Jackson (Allah möge sich seiner Seele annehmen)? Wie auch immer, auf jeden Fall sah man in den Strassen der grossen Städte haufenweise Frauen und Männer mit frisch operierten Nasen, die mit einem gewissen Stolz ihre einbandagierten Zinken zur Schau trugen.

Visa-Run nach Teheran

Wir hatten uns zur Aufgabe gemacht, in Teheran alle Visa für Zentralasien, sowie das Chinavisum zu organisieren, um dieser nervenaufreibenden Geschichte ein Ende zu bereiten. Da dies ein logistisch anspruchsvolles Unterfangen ist, mussten wir genügend früh damit anfangen. Und da man in all den „Stans“ auch jeweils auf den Tag genau angeben muss, wann man ein- und wieder auszureisen gedenkt, mussten wir unsere Route um Monate im Voraus ziemlich genau planen. Und das liegt uns ja jetzt grad gar nicht! Nun, es blieb uns aber nichts anderes übrig. Wir mussten die Botschaften, beziehungsweise Konsulate von fünf Ländern stürmen und dass die Bedingungen und Formalitäten überall verschieden sind, machte die Sache natürlich auch nicht einfacher, sowie die Tatsache, dass man den Pass jeweils bis zu fünf Tage hinterlegen musste, damit der Konsul seinen Stempel reindrücken konnte, wenn es ihm gerade genehm war. Da wir aber nicht zwei Wochen lang in Teheran im Botschaftsviertel Däumchen drehen wollten, entschlossen wir uns, das Ganze in Etappen zu erledigen.

Wir fuhren zweimal per Nachtbus von Esfahan nach Teheran, erledigten unseren Kram und fuhren wieder zurück. Dann ging’s mit dem Velo weiter nach Kashan und von dort aus dasselbe in grün. Wir hatten das Glück, dass wir in Teheran zweimal bei netten Leuten übernachten durften, die im nördlichen Teil der Stadt wohnten, wo auch die Botschaften liegen. Teheran ist ein Siebzehnmillionen-Moloch mit Verkehrschaos, schlechter Luft und allem, was dazugehört. Wir kämpften uns zu Fuss, per Metro, Bus, Minibus, Sammeltaxi und Taxi von A nach B, nur auf die Motorrad-Taxis verzichteten wir. Lebensmüde sind wir ja noch nicht. Auch wenn wir uns bisweilen wie Zombies von Konsulat nach Konsulat schleppten. Als Taxi fungiert in Teheran eigentlich jedes Auto, je nachdem, ob der Fahrer sich gerade ein paar Rials dazuverdienen möchte. Und der Fahrstil, na, das muss man einfach erlebt haben. Eine Geisterbahnfahrt (manchmal im wahrsten Sinne des Wortes!) ist ein Sonntagsspaziergang dagegen. Und trotzdem, dass jeder so ziemlich macht was er will auf Teherans Strassen, geht das Ganze relativ unfallfrei vonstatten.

Die Botschaften waren jeweils nur Morgens geöffnet und das war auch okay so, denn gegen Abend wurde es nach den umstrittenen Präsidentenwahlen jeweils langsam unruhig in der Stadt. Auf einigen Plätzen versammelten sich Militär und Polizei und Ex-Revolutionäre Garde-Mitglieder (oder waren die mit Knüppel und schärferem – und tödlicherem – Geschütz bewaffneten Männer in Zivil doch von der Hizbolla aus Libanon, wie auf der Strasse behauptet wurde?) und warteten auf die Demonstranten. Im Iran gibt es ja so viele militärische und paramilitärische Gruppen, die von der Regierung direkt oder indirekt finanziert und kontrolliert werden, das ist uns alles ein bisschen undurchsichtig. Dass die iranischen Medien (allesamt vom Staat kontrolliert natürlich) nicht mit den gleichen Berichten, Zahlen über Demonstranten, Tote, Verletzte und Verhaftete jonglieren, wie wir es von Leuten auf der Strasse hörten, und dass es die westlichen Medien ihrerseits auch nicht immer so genau nehmen mit den Fakten – Hauptsache es macht Schlagzeilen und Quoten, all das machte es nicht gerade einfach, sich ein Bild von den Ereignissen zu verschaffen. Zumal natürlich Internet, Mobiltelefonie und SMS, ja sogar Satellitenfernsehen (ist sowieso illegal in Iran) so stark zensiert sind, dass es nicht gerade einfach war, an verlässliche Information zu kommen.

Wie auch immer, auf jeden Fall war es ratsam, sich von gewissen Plätzen abends fernzuhalten. Die Polizei sah es nicht gerne, wenn Ausländer zu nahe am Geschehen waren, und vermuteten wohl hinter jedem Ausländer gleich einen Journalisten, wenn nicht einen Spion. Es war aber wirklich sehr einfach, dem ganzen Geschehen aus dem Weg zu gehen, selbst in Teheran. Tagsüber merkte man sowieso nichts von den Protesten und im Rest des Landes war es vorwiegend ruhig.

Der lockere Umgang mit der Gastfreundschaft

Wir hatten mit einer Couchsurferin (couchsurfing.org) in Teheran vereinbart, eine Nacht bei ihr zu verbringen. Durch das Chaos mit dem ganzen Militär und der Polizei und dank dem Umstand, dass sie von Kopf bis Fuss in Grün gekleidet war (den Farben der Opposition), wurden wir nicht gerade freundlich vom Platz gejagt, auf welchem wir uns mit einem anderen Freund verabredet hatten. Da der gesamte Mobiltelefon-Verkehr teilweise lahmgelegt wurde, um es den Demonstranten ein bisschen schwerer zu machen, sich zu organisieren, konnten wir uns also nicht absprechen, wo wir uns sonst treffen sollten. Also fuhren wir per Bus zu ihm nach Hause. Nur wusste er das natürlich nicht und so warteten wir geraume Zeit vor seinem verschlossenen Haus. Nun, eigentlich war es ja gar nicht ein Freund unserer Kollegin, bloss jemand, den sie einmal zuvor getroffen hatte, der aber, praktischerweise für uns, nahe bei den Botschaften wohnt und das sei schon in Ordnung, wenn wir hier übernachteten. War es dann auch, aber erst später. Wie wir da also so dasassen, kam ein (wildfremder) Nachbar vorbei und meinte, wir sollen doch zum ihm und seiner Familie zum Nachtessen kommen, bis unser Freund eintreffen würde. Gesagt, getan und ehe wir uns versahen, sassen wir an einem gedeckten Tisch. Es ist einfach faszinierend, wie spontan und unkompliziert und vor allem, wie gastfreundlich die Perser sind. Man wird mit einer Selbstverständlichkeit verpflegt und beherbergt, als sei es das Normalste der Welt.

Mashad – Die heilige Stadt

Hatten wir erst mal alle Visa im Sack, ging es Schlag auf Schlag. Aufs Radeln mussten wir allerdings zugunsten unseres knappen Zeitplans leider verzichten (wir hatten ja ursprünglich damit gerechnet, von Teheran aus direkt nach Usbekistan zu fliegen, da unser erste Visa-Antrag von den Turkmenen abgeschmettert worden war). So ging es per Bus via Teheran, wo wir uns mit einem Lächeln beim chinesischen Konsul für unser Dreimonate-Visum bedankten (das uns für Tibet rein gar nichts nützt! – aber dazu später einmal). Und endlich hielten wir unsere Pässe wieder länger als bloss ein paar Stunden in der Hand. Schon komisch, welche Beziehung man zu diesem Schriftstück bekommt, aber in gewissen Gegenden wird man über ein paar farbige Stempel auf gemustertem Papier und ein Foto, das der Verbrecherkartei entstammen könnte, definiert.

Per Nachtbus ging es weiter nach Mashad. Und dort zum Schrein von Reza, dem wichtigsten Pilgerziel Irans.

Religiöser Eifer

Die Iraner haben ja ein bisschen ein Identitätsproblem. Sie sind stolze Perser und nichts ist eine grössere Beleidigung für sie, als dass man sie mit den Arabern in einen Topf wirft. Nun, natürlich finden nicht alle das, was aus Mekka kommt daneben aber auf der anderen Seite wurmt es heute noch eine ganze Menge Leute, dass sie vor ein paar Hundert Jahren von diesen kulturlosen Kameltreibern überrannt wurden und mit dem Islam wollten sie am liebsten gar nichts am Hut haben. Den Westen finden viele cool und nicht nur Teenager würden am liebsten nach Amerika auswandern. Das sollten sie aber nicht, denn da wohnt ja der Satan höchstpersönlich. Und so stehen die Iraner eben immer etwas im Abseits. Die Araber mögen sie nicht wirklich, die Israeli sowieso nicht und der Westen hat seine liebe Mühe mit Kopftüchern, langen Bärten und Minaretten. Und nicht genug damit, dass sie so geizig sind mit ihren Ölreserven, nein da haben sie zu allem Übel noch so ein schlimmes Atomprogramm. Überhaupt, wieso massen sich eigentlich gewisse Atommächte an, einem souveränen Staat zu verbieten, ebenfalls solche Waffen zu entwickeln – selbst dann noch, wenn sie behaupten, dies gar nicht zu tun? Kommt einem irgendwie bekannt vor. Die ganzen Massenvernichtungswaffen im Irak lösten sich ja auch plötzlich in Luft auf, nachdem das ganze Land bereits zerbombt war...

Fanatiker, die gibt es eben überall. Und es ist ja in erster Linie der Westen, der dem Rest der Welt seine Werte und Lebensweisen aufdrücken will, ohne zu realisieren, dass andere Gesellschaftssysteme genauso „gut“ sein können. Auch wenn wir (und da meinen wir explizit auch uns zwei) nicht verstehen, wie sie im Detail funktionieren. Aber was in unseren Augen „falsch“ erscheint, kann woanders eben genau richtig sein, selbst wenn es diametral zur eigenen Weltsicht steht.

Durch unsere Reisen und das Erleben verschiedener Kulturen sind wir wohl generell etwas toleranter geworden. Allerdings – und das müssen wir uns trotz aller Toleranz, oder vielleicht auch gleich deswegen, eingestehen – waren wir überrascht und teilweise schockiert vom offenen Fanatismus mancher Moslems in Iran. Wenn auch die überwiegende Mehrheit zumindest hinter vorgehaltener Hand über das Regime und die Islamische Republik fluchte. In keinem arabischen Land erfuhren wir auch nur einen einzigen Bekehrungsversuch, aber in Iran wurden wir einige Male, und teilweise recht hartnäckig, davon überzeugt, dass es nur eine absolute Offenbarung gibt und demnach nur eine einzige Religion. Judentum und Christentum – so tolerant der Islam denen gegenüber vordergründig auch ist – sind halt lediglich unvollständige dilettantische Vorläufer eines perfekten Islam. Ja, man hatte fast ein bisschen erbarmen mit uns, weil wir die Dinge nicht auf die Reihe kriegten und nicht auf der Stelle auf die Knie fielen und schrien „Allah akbar!“ - „Gott ist gross!“. Interessant waren sie für uns trotzdem, diese angeregten und teilweise hitzigen Debatten. Und verwunderlich ist es ja nicht, dass einige, und es waren vor allem junge Männer, ein bisschen abdriften. Denn diese Art islamischer Erziehung kommt fast einer Gehirnwäsche gleich. Die täglichen Rituale, die ewigen Gebetsrufe, die ständige Berieselung mit Koranversen und Gebeten im Fernsehen, im Radio, in Supermärkten, Bussen, auf Plakaten, ... Wenn einem rund um die Uhr gesagt wird, wie gut und wie wichtig etwas ist, glaubt man's am Schluss doch – egal was es ist. Und je „gläubiger“ (hier zu interpretieren als: glauben und nicht hinterfragen) die Menschen sind, desto weniger denken sie. Vor allem bei einer Religion, bei der gleich alles vorgeschrieben ist, vom Essen über die Kleidung, den Tagesablauf bis hin zum Sinn des Lebens (das ist ja okay an und für sich), der absoluten Notwendigkeit des Jihad, des Heiligen Krieges und der Abkürzung ins Paradies via Martyrertum (das schon weniger). Da braucht man gar nicht mehr zu denken. Und Menschen, die sich nicht gewohnt sind, selbstständig zu denken, die sind manipulierbar. Und das kann gefährlich sein. Mag sein, dass unsereiner zu wenig „gläubig“ ist und alles mit mathematischer Präzision zu ergründen und zu verstehen sucht, und mag sein, dass wenn wir uns mehr nach „religiösen Prinzipien“ (die ja eigentlich nichts anderes sind, als fundamentale Regeln der Humanität, wie zum Beispiel die Zehn Gebote), die Welt wäre eine bessere. Toleranz ist, was wir brauchen, religiöse und kulturelle und vor allem eine gesunde Portion Skepsis gegenüber allem, was immer wieder gesagt, gepredigt und geschrieben wird. Sei es in der Kirche oder in der Moschee, im Koran oder in der Bibel, auf Flugblättern und Plakaten, in der Zeitung oder auf CNN.

Nord-Süd-Gefälle

Vielleicht hatte es mit dem Zeitpunkt der Präsidentenwahlen zu tun, denn den südlichen Teil des Landes besuchten wir vor dem Stichtag, während wir die Zeit danach mit allen Protesten und dem ganzen Aufruhr im Norden verbrachten. Wir auf jeden Fall fühlten uns im Süden wohler, die Leute waren spontaner, herzlicher und die Begegnungen mit der Bevölkerung waren offener und viel zahlreicher. Bestimmt hat sich die Frustration (über das Wahlresultat) vieler Iraner auch im Umgang mit Fremden niedergeschlagen. Echt schade, denn wir erlebten die Perser grösstenteils als offene und aufgeschlossene Menschen. Und wenn auch einige Stellen dieses Berichts etwas kritisch sind, steht das nicht unbedingt für die Bevölkerung, sondern eher für die momentane Regierung und fundamentalistische Tendenzen überall auf der Welt – nicht nur in der islamischen. Hoffen wir, dass die Proteste Früchte tragen und im Land endlich tief greifende Reformen eintreten.

Und nun weg mit diesem blöden Kopftuch und ab über die Grenze nach Turkmenistan – Yepeeh!



17.11.11 Geraldton, Australien

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